SoSe 2022
Cyborgs, Mikroben und Blackboxes: Geschichte(n) der Feminist Science and Technology Studies von Jannis Steinke
Die Science and Technology Studies sind mit ihrem Ansatz der Erforschung von Wissenschaft und Technik als Kondensation sozio-kultureller Faktoren (vgl. Bauer et al 2020, S. 13) eine Forschungsrichtung, die das Paradigma einer passiven Natur, die dann durch die Technologie bearbeitet und transformiert wird, aufgibt. Hiermit ist sie gerade auch für (queer)feministische Forschungsansätze und die Gender- und Diversity Studies höchst anschlussfähig. Binäre Geschlechtervorstellungen, die in der Maxime der passiven Natur und der aktiven Technik sedimentiert sind, können somit über den Shift von Wissenschaft als objektive Erkenntnisproduktion hin zu Wissenschaft als Politik auch in diesem Feld identifiziert, seziert und dekonstruiert werden. Es wird im Seminar zunächst darum gehen, die Geschichte der Science and Technology Studies von der ersten bis hin zur dritten Welle kurz nachzuzeichnen. Hierbei soll der Paradigmenwechsel von einem Neutralitätsverständnis von Technikwissenschaften hin zum Motto „Wissenschaft ist Politik mit anderen Mitteln“ (Latour), hin zu partizipativer Forschung nachgezeichnet werden.
Im Anschluss daran werden die Spezifika der feministischen STS herausgearbeitet, indem Donna Haraways hierfür wegweisende Schriften des Situierten Wissens und des Cyborg-Manifestes gemeinsam erarbeitet werden. Schließlich wird mit Susan Leigh Stars Ansätzen ein wichtiger Strang in den FSTS vorgestellt, der Ansätze Latours und Haraways miteinander verknüpft und als neues Forschungsparadigma produktiv macht. Das Seminar will sich abschließend mit Anwendungsbeispielen der Feminist STS beschäftigen und hierzu Auszüge aus Annemarie Mols aktuellem Werk „Eating in Theory“ (2021) lesen und diskutieren.
Zur Lehrperson
Jannis Steinke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Braunschweig. Er forscht ethnografisch zu Praktiken der Objektivierung von KI-basierten Diagnose Apps. Jannis Steinke ist einer von drei Sprecher*innen der AG DIG*IT*AL der Deutschen Fachgesellschaft für Geschlechterstudien. Die Arbeitsgruppe diskutiert und interveniert aus diversitätskritischer und geschlechtertheoretischer Sicht in Technologien der Digitalisierung und bringt ihre Expertise in politische Abstimmungsprozesse zu Richtlinien für vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz mit ein.
Jannis Steinke forscht und publiziert zu Themen des Neuen Materialismus, den Science and Technology Studies, dem französischen Poststrukturalismus und der dekolonialen Theorie. Er hat unterschiedliche Lehraufträge an unterschiedlichen Hochschulen zu den genannten Themen inne.
Diversity & Intersectionality: Theoretische Perspektiven und analytische Konzepte von Robel Afeworki Abay
Im Mittelpunkt des Seminars steht die These, dass eine intersektionaltätstheoretische Perspektive sich als besonders geeignet erweist, eine gewinnbringende Diskussion über den Umgang mit Differenz, Ungleichheit und Diversität in der Dominanzgesellschaft zu eröffnen. Eine kritisch-reflexive und herrschaftskritische Thematisierung von diskursiv hervorgebrachten und institutionalisierten Differenz- und Ungleichheitsverhältnissen wie z.B. Rassismus, Ableism, (Hetero)Sexismus und Homonationalismus ist insbesondere vor dem Hintergrund aktueller politischen Diskursverschiebung von großer Relevanz für die Selbstpositionierung sowie für Intersektionalitäts- und Diversitätsforschung, da die veränderten gesellschaftspolitischen Bedingungen auch fatale Einflüsse auf die praktische Arbeit mit den Betroffenen sowie für die wissenschaftliche Forschung sozialer Ungleichheitsverhältnisse haben.
Die Erörterungen ausgewählter Seminarlektüre erfolgen auf der Grundlage der theoretischen Ansätze von Diversity & Intersectionality, die einen herrschafts- und dominanzkritischen Zugang zu Kontexten und Modalitäten der Herstellung, Aktualisierung und Reproduktion patriarchal-heteronormativer Strukturen und sozialer Ungleichheitsverhältnisse ermöglichen:
- Intersektionalität: Zum einen werden wir uns mit den vielfältigen intersektionalen Identitäten, Zugehörigkeiten und Lebensrealitäten sowie mit symbolischen und politischen Repräsentationen marginalisierter Gruppen befassen. Anhand dieser theoretischen Auseinandersetzung mit Perspektiven auf Gesellschaft und Institutionen wie z.B. Soziale Arbeit, Schule oder Beratungsstelle wird danach gefragt, welche Herausforderungen die fortbestehenden heteronormativen Strukturen insbesondere für marginalisierte Gruppen wie BIPoC (Black, Indigenous and People of Color), be-hinderten und queeren Communities darstellen, die durch machtvollen Zuschreibungen als ,,die Anderen“ konstruiert und von einer gleichberechtigter Teilhabe an der Gesellschaft ausgegrenzt bzw. ausgeschlossen werden.
- Diversity: Zum anderen werden wir im Seminar über die fehlende Anerkennung und Wertschätzung gesellschaftlicher Vielfalt (Diversität) und die damit einhergehenden erschwerten politischen, sozialen und ökonomischen Teilhabe- und Verwirklichungschancen marginalisierter Communities in einer kapitalistisch organisierten Dominanzgesellschaft kritisch hinterfragt.
Auf dieser Basis werden Teilnehmende des Seminars zentrale Grundlagen der intersektionalen Ungleichheits- und Diversitätsforschung (Diversity & Intersectionality) kennenlernen sowie theoretische Überlegungen mit der Praxis sinnvoll in Verbindung zu setzen.
Zur Lehrperson
Robel Afeworki Abay positioniert sich als afro-deutscher und queer-feministischer Aktivist. Zurzeit promoviert er im Zentrum der Inklusionsforschung (ZfIB) der Humboldt-Universität zu Berlin. Das Erkenntnisinteresse seines partizipativen Dissertationsprojekts liegt darin, die theoretischen und empirischen Teilhabediskurse über BIPoC mit Behinderungserfahrungen im Kontext der Erwerbsarbeit zu schärfen und entfalten. Zuvor studierte er Soziologie und Politikwissenschaften an der Addis Ababa University, Äthiopien und Cardiff University, Wales, UK sowie Soziale Arbeit an der Universität Kassel. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich wissenschaftlich und politisch-aktivistisch mit den Themen: Intersektionalität; Rassismus & Ableism; Gender, Queer and Disability Studies; Partizipative Forschung; Postkoloniale Theorien & Dekoloniale Ansätze; Klimagerechtigkeit; Migrations- und Diversitätsforschung.
Gender, Knowledge, and Queer Theory von Clara Schwarz
Das Seminar zielt auf eine Übersicht der Anfänge von Queer Theory und Gender Theory mit einer genuin intersektionalen Herangehensweise ab. Es werden Theorien und Texte gelesen und diskutiert, die normative Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität, Macht/Herrschaft und Wissensproduktion hinterfragen. Im Zentrum stehen Texte von Schwarzen, dekolonialen, queeren und trans Feminist_innen. Zum Seminarabschluss werden die Studierenden ein Essay von 1500 Wörtern (auf Englisch oder Deutsch) zu einem Thema ihrer Wahl verfassen, und dafür mindestens zwei der Theorien aus dem Seminar anwenden. Ziel des Seminars ist es, den Studierenden die Komplexität der Konzepte „gender“ und „queer“ zu vermitteln, und dabei auf kontextuelle, zeitliche und geografische Unterschiede einzugehen. Dazu sollen die Studierenden die Strukturen, in denen sie lernen und Wissen produzieren, hinterfragen, und normative Erwartungen an Geschlecht und Sexualität aufbrechen. Das Seminar wird hauptsächlich englischsprachige Literatur verwenden, und das Seminar selbst wird zweisprachig durchgeführt.
Zur Lehrperson
Clara Schwarz promoviert in der Soziologie der Uni Freiburg und erforscht die Rolle und Entwicklung queerer Freund_innenschaft während der Corona-Pandemie. Clara hat einen Master in Gender & Sexuality Studies, sowie einen Bachelor in Soziologie. Claras forscht zu und interessiert sich für queere formen von (platonischen) Beziehungen, queere care arbeit, sowie femme studies und queere literaturgeschichte.
Intersektionalität und Diversity: Positionen und Kritik von Agnes Böhmelt
Intersektionalität handelt von vielfältigen Verschränkungen gesellschaftlicher Machtverhältnisse und multiplen Differenzen. Ausgegangen wird davon, dass sexualisierte/gegenderte und rassifizierte Positionen, Klasse/Schicht/sozialer Status sowie auch Befähigung, Alter oder religiöse Zugehörigkeit bzw. -ordnung … verzahnt, ja inhärent plural verfasst sind und dieser Komplexität angemessen analysiert werden müssen. Diversity-Konzepte bemühen sich darum, solche Ansätze beispielsweise in Antidiskriminierungsarbeit und Gleichstellungspolitik praktisch zu implementieren. Während längst von einem Paradigma der Geschlechterforschung die Rede ist, wird andererseits eine Depolitisierung von Intersektionalität angesichts ihrer zunehmenden akademischen Institutionalisierung beklagt und Diversity dafür kritisiert, in neoliberaler Marktförmigkeit aufzugehen. Gefragt werden muss außerdem danach, ob auch intersektionale bzw. interdependente Kategorien in rasternden identitären Festlegungen erstarren. Das Seminar möchte Intersektionalität und Diversity historisch nachvollziehen, kritisch befragen und alternative Ansätze aufzeigen.
Zur Lehrperson
Agnes Böhmelt studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Kulturwissenschaft und Gender Studies, außerdem einige Semester Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Sie arbeitet zu Machtverhältnissen, wobei Schwerpunkte neben Foucault vor allem auf poststrukturalistisch und queer_feministisch informierter Subjekt- und Kategorienkritik und Intersektionalität liegen. Aktuell denkt sie auch mal wieder über Cyborgs und deren subversive Potenziale nach.