Interview mit Renata Guadagnin und Ana Mendes

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Gefördert durch die Gemeinsame Kommission hat im Dezember 2020 das Seminar „CUIR: Decolonizing Queer Theory“ stattgefunden. Organisiert von Renata Guadagnin (Terceiro Andar) und Ana Fernanda Mendes Costa (Queering Academia) gab es vier virtuelle Vorträge von internationalen Expert*innen mit jeweils etwa 70 Teilnehmer*innen. Ich habe dieses Seminar zum Anlass genommen und mich mit den beiden Organisatorinnen unterhalten.

MK:    Worum ging es bei dem Seminar „CUIR: Decolonizing Queer Theory“? Wie ist es gelaufen?

RG:     Das Konzept von “CUIR” kommt aus einer postkolonialen Kritik an der Queer-Theorie, die hier als weiß, europäisch, privilegiert und damit begrenzt verstanden wird. Diese Begrenzung kann erweitert werden, indem situierte Andere* das Schicksal als Kolonisierte ablehnen und sich selbst proklamieren. Es ist eine Form des situierten Ungehorsams, die darauf abzielt, Diskurse aus der lateinamerikanischen Perspektive zu entdecken und neu zu erfinden.

AM:    Das Interesse der Teilnehmenden war riesengroß. Wir hatten eine Gesamtbeteiligung von 280 registrierten Teilnehmer*Innen. Das Publikum war sehr vielfältig und bestand aus Studierenden, Lehrenden, Menschen aus NGOs und der Zivilgesellschaft sowie allgemein interessierte Personen. Es waren Menschen aus Deutschland, Brasilien, Frankreich, Mexiko, Italien und Syrien dabei. Die Vielfalt des Publikums trug dazu bei, den Treffen Dynamik zu verleihen. Die Leute waren wirklich begeistert und deshalb war die Interaktion zwischen den Redner*innen und den Zuhörer*innen sehr gut.

MK:    Die Kontakte zu den Dozent*innen sind durch die Kooperation mit Terceiro Andar zustande gekommen. Was ist Terceiro Andar und was sind die Ziele der Organisation?

RG:     Terceiro Andar ist eine nationale und internationale Beratungsplattform für Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten in den Bereichen Lehre, Forschung und Innovation, mit Schwerpunkt auf der Einwerbung von Fördermitteln, Zertifizierungen und internationalen Projekten für Einzelpersonen und verschiedenen Institutionen. Unser Ziel ist die Demokratisierung von Wissen u.a. durch internationale Projekte zur Erweiterung des interkontinentalen Dialogs und gemeinsame Forschungsanstrengungen zum Austausch von Wissen, Lehren und Lernen.

MK:    Wie geht es weiter? Was sind die Pläne für die Zukunft?

AM:    In diesem Semester denken wir vor allem an die Veranstaltungsreihe “Jenseits der Geschlechtergrenzen“, die von der AG Queer Studies und dem Aktionsbündnis Queering Academia organisiert wird. Wir sind gespannt auf die Möglichkeit, mit verschiedenen, auch internationalen Dozent*Innen zusammenzuarbeiten.

RG:     Außerdem beabsichtigen wir, das Projekt fortzusetzen, vielleicht einen neuen Block zu machen und das Spektrum der entwickelten Themen zu erweitern. Da das lateinamerikanische Szenario so vielfältig und die politischen Themen so brisant sind, halten wir es für wichtig, die Diskussion über die Konstruktion von Wissen und ihre praktischen Auswirkungen aus lateinamerikanischer Sicht fortzusetzen. Wir möchten mehr Brücken und Partnerschaften für die internationale Zusammenarbeit in der Geschlechterforschung bauen und so einen großen pluralen Austausch generieren, der es uns erlaubt, auf sensible Weise die Bedeutung und den Einfluss der Geschlechter- und Diversitätsstudien wahrzunehmen, um Rechte, Freiheiten und vor allem Respekt für die Differenz, das Andere, zu gewährleisten. Aus diesem Grund werden wir weiterhin neue Kurse planen und unsere Partnerschaften auszubauen.

MK:    Das klingt sehr konkret. Welche Wünsche und Ideen gibt es außerdem noch?

RG:     Wir hoffen, weiterhin Partner bei der Entwicklung des Dialogs zwischen Brasilien und Deutschland, Lateinamerika und Europa zu sein, mit dem Ziel, diesen Austausch von Perspektiven zu konsolidieren, der die Möglichkeit der Vielfältigkeit, die Genderfragen erfordern, erweitert. Wir hoffen, dass das Zentrum Gender & Diversity auch in Zukunft dieser Raum sein wird, um aktuelle und zeitgemäße Diskussionen zu fördern und anzuregen. Wir hoffen auch, dass die Welt ein Ort sein kann, an dem Menschen nicht gleich sein wollen und ihre Subjektivitäten darauf reduziert werden. Sondern, dass wir auf andere schauen können, um Unterschiede zu sehen und zu verstehen, dass dies uns als menschliche Wesen ausmacht. Es ist der Unterschied, der die Auswirkungen auf die Subjektivität eines jeden von uns bildet.

AM:    Deshalb ist dieser Austausch zwischen den Kontinenten so wichtig, damit wir aus anderen Perspektiven sprechen können, ohne uns gegenseitig eine x- oder y-Art des Lebens aufzwingen zu wollen, sondern verstehen, dass jedes Territorium seine eigene Perspektive und seine pulsierenden Dringlichkeiten hat, und dass der Dialog zwischen diesen verschiedenen Perspektiven bei der Verbreitung von Informationen, bei der Konstruktion von Theorien und Praktiken der Auseinandersetzung mit Gewalt und dem Verständnis der Auswirkungen von Gender- und Diversity-Studien auf jede Gesellschaft helfen kann.

MK:    Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei allen weiteren Unternehmungen.

Ana Fernanda Mendes Costa kommt ursprünglich aus Brasilien und macht gerade ihren B.A in Soziologie mit Nebenfach Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Ihr Fokus auf Gender und Queer Studies brachte sie dazu, das Aktionsbündnis Queering Academia (Instagram @queeringacademia) mit aufzubauen. Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, intersektionale Gender und Queer Studies an allen Hamburger Universitäten (wieder) zu etablieren.

Renata Guadagnin ist internationale Repräsentantin von Terceiro Andar. Renata hat nach ihrem Bachelor in Rechtswissenschaften einen Master in Kriminologie abgeschlossen, und im Anschluss ihren PhD in Philosophie an der PUCRS erhalten. Später hat sie ein Promotionspraktikum im Fachbereich Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg mit einem Projekt zu Ethik und Internetregulierung zwischen Brasilien und Deutschland gemacht.

Web: https://aterceiroandar.com.br/en/ Kontakt: internacional@aterceiroandar.com.br